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Der kleine Unterschied

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Die Wurzeln reichen noch viel tiefer. Der deutschen Öffentlichkeit ist »MeToo« seit etwa einem Jahr bekannt. Tatsächlich gebe es die Bewegung aber schon seit mehr als zehn Jahren, erklärte Prof. Susan Winnett am Mittwochabend im Pausenraum des Rathauses. In der Reihe »Genau hinsehen« des Vereins Wildwasser ergründete die Amerikanistin »Die Frauenbewegung nach #metoo in Deutschland«, indem sie die US-amerikanischen mit den deutschen Entwicklungen der vergangenen Monate verglich.

Die Wurzeln reichen noch viel tiefer. Der deutschen Öffentlichkeit ist »MeToo« seit etwa einem Jahr bekannt. Tatsächlich gebe es die Bewegung aber schon seit mehr als zehn Jahren, erklärte Prof. Susan Winnett am Mittwochabend im Pausenraum des Rathauses. In der Reihe »Genau hinsehen« des Vereins Wildwasser ergründete die Amerikanistin »Die Frauenbewegung nach #metoo in Deutschland«, indem sie die US-amerikanischen mit den deutschen Entwicklungen der vergangenen Monate verglich.

Prinzipiell beobachte sie in den USA eine Bewegung, während es »in Deutschland mehr um das Diskutieren geht«, sagte Winnett, die selbst US-Amerikanerin ist und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf lehrt. Für diese eher reservierte Aufnahme des Themas bot die Wissenschaftlerin gleich mehrere Erklärungen an. So sei die deutsche Gesellschaft »noch ziemlich homogen« und »das Festhalten an Traditionen und traditionellen Strukturen« weit verbreitet. Andererseits habe der Feminismus in den USA seit Jahrzehnten mehr Kraft entwickelt als in Deutschland: »Feministin ist in Amerika kein Schimpfwort.«

Die »MeToo«-Bewegung beschrieb Winnett als zweite Welle der Bürgerrechtsbewegung mit Wurzeln im afroamerikanischen Feminismus. Ein Bewusstsein für dessen Anliegen habe spätestens Anita Hill geschaffen. 1991 beschuldigte die Juristin ihren Vorgesetzten Clarence Thomas der sexuellen Belästigung, der damals zum Richter beim Supreme Court nominiert war. Mit den Bildern ihrer öffentlichen Anhörung im Justizausschuss des Senats illustrierte Winnett das gesellschaftliche Klima der Zeit. »Ausschließlich weiße Männer« hätten Hill dort bewusst vorgeführt – »es war fast wie eine zweite Vergewaltigung«.

Wenig später stellte Winnett diesem Fall den von Brett Kavanaugh gegenüber. Auch er ist mittlerweile Richter am obersten US-Gerichtshof – und auch er war vor seiner Ernennung mit dem Vorwurf sexueller Übergriffe konfrontiert. Bei der entsprechenden Anhörung im Senatsausschuss hätten sich »die weißen Männer« zwar »genauso giftig« gezeigt wie ein Vierteljahrhundert zuvor, stellte die Amerikanistin fest. Dennoch belegten die Umstände und Diskurse von Ende 2017, »dass irgendetwas in Bewegung ist«.

Daran habe »MeToo« gewiss einen großen Anteil. Ohne Hashtag, aber mit gleicher Stoßrichtung existiere die Initiative bereits seit 2007, als die Afroamerikanerin Tarana Burke sie begründet habe, um »jungen Überlebenden von sexueller Gewalt einen Raum zu gewährleisten, wo ihren Geschichten Glauben geschenkt wird«, erläuterte Winnett. Damit solche Geschichten durchdringen können, braucht es laut der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin vor allem »die Macht der Erzählungen« – und Frauen, die handeln, statt zu reden: »In den USA wird nicht nur diskutiert, es wird riskiert.«

In diesem Sinne beurteilte Winnett die Wirkung von »MeToo« in Deutschland nicht besonders positiv. Dass sie (noch) nicht dieselbe Wucht entwickle wie ihr Vorbild jenseits des Atlantiks, liege an der »anderen Art zu diskutieren«, meinte eine Zuhörerin. Suchten Initiativen in den USA schnell »das Theatralische« und »die Massenwirksamkeit«, so sei hierzulande vieles »schwerer greifbar, weil es sich oft in kleinen Kreisen abspielt«. Ganz ähnlich hatte Winnett anfangs diagnostiziert: »Ich glaube, hier in Deutschland ist auch vieles in Bewegung. Nur bleibt das Bewegte leider unsichtbarer als die Debatte.«

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